Ab in die Brühe: ein Klärwerkstaucher vor dem Abseilen in den Faulturm.
Hier duftet es nicht nach Chanel
Es gibt schöne und weniger schöne Jobs. Und es gibt Jobs, die mancher nie machen würde. Dazu gehört mit Sicherheit das Klärwerkstauchen. Doch im Faulturm muss ja irgendjemand den Job machen.
JAN ZAWADIL
Foto: Jan Zawadil
Nein – der Geruch, der aus dem Faulturm des Klärwerks steigt, ist nichts für empfindliche Nasen. Denn was da aus dem Behälter wabert, ist sicherlich nicht Coco Chanels Nummer Fünf, sondern eher ein Duft, der genau an das erinnert, aus dem er aufsteigt: Aus einer braunen, blubbernden, zähflüssigen Masse.
Angesichts dieser Brühe gibt es für viele bestimmt angenehmere Vorstellungen. Doch nachdem sich im unteren Bereich des Faulturms im Mittelstädter Klärwerk Ablagerungen und so genannte Verzopfungen aus Haaren, Fasern und noch weit unschöneren Dingen tummeln, mussten diese nun abgetragen werden, um die optimale Produktion von Faulgas wieder zu gewährleisten.
Die Männer, die sich des zähen und teils festen Belags vergangene Woche angenommen haben, sind jetzt allerdings echte Profis, die nichts so leicht umhaut. Als Industrietaucher mit dem Spezialgebiet Klärwerkstauchen und mit Blick auf den Schlick müssen sie das aber wohl auch zweifelsohne sein. Denn nicht nur, dass es die meisten Einiges an Überwindung Kosten würde, sich ins Bad aus Abwasserinhalten zu stürzen. Die mehrstündigen Tauchgänge an den insgesamt vier Tagen sind auch anstrengend und nicht ganz ungefährlich. Beträgt doch beispielsweise der Druck der dicken Brühe in dem etwa 15 Meter tiefen Bauwerk „etwa drei Bar“, wie Taucher Michael Lorenzen von der Pinneberger Firma Richter schätzt und liegt damit einiges über dem Druck eines Autoreifens mit seinen meist 1,8 Bar.
Die körperliche Beanspruchung durch die Arbeit im Faulturm ist also hoch. Und die etwa 35 Grad Celsius tragen ihr Übriges dazu bei, beim Taucher für Schweißausbrüche und einen Flüssigkeitsverlust von rund anderthalb Liter während der jeweils dreistündigen Tauchgänge zu sorgen.
Topfit müssen die Industrietaucher, die auch Arbeiten wie beispielsweise Schweißen unter Wasser oder Schiffsbodenuntersuchungen durchführen, deshalb schon sein. Und auch das Vertrauen ins Team mit zweitem Taucher sowie zwei Helfern muss stimmen.
Trotz oder gerade wegen der nicht sonderlich angenehmen Arbeit sind die Klärwerkstaucher aber nicht nur im Mittelstädter Werk gefragt. Viel Freizeit gibt es für sie und das Team deshalb nicht. Denn: „Rund 250 Tage im Jahr sind wir unterwegs“, erklärt Taucher Lorenzen. Die Familie bekomme man da nicht oft zu sehen. Seien sie doch nicht nur in Deutschland, sondern weltweit auf allen Kontinenten unterwegs.
Den Anreiz für den Job macht für den früheren Marinetaucher Lorenzen dabei vor allem das Finanzielle aus. Deshalb will er den Job auch noch so lange machen, wie es die Gesundheit zulässt. Wenn es allerdings nicht mehr funktionieren sollte, dann könnte er sich auch vorstellen, an schöneren Fleckchen dieser Welt abzutauchen. „Nur weiß ich dann nicht, ob ich erschrecke, wenn ich meine eigenen Füße beim Tauchen sehe.“ Habe das Nordlicht bei seinen bisherigen beruflichen Tauchgängen doch immer in einem Ganzkörper- und nicht nur einem Neoprenanzug gesteckt.
Über ihr Honorar sprechen die Taucher allerdings nicht. Ehrensache versteht sich. Doch die Kosten für die Arbeiten im Faulturm belaufen sich für den Abwasserzweckverband Merzenbachtal auf rund 25 000 Euro. Eine Investition, die sich laut der Verantwortlichen allerdings lohnt. Denn hätte der Turm mit seinen fast 13 Metern Durchmesser und etwa 16 Meter Tiefe völlig leergepumpt werden müssen, hätte das mit Sicherheit das Doppelte gekostet.
Es gibt Schöneres - doch irgendjemand muss es ja machen.
Foto: Jan Zawadil